15KUNSTRAUM St. Georgen WISMAR
AUF SICHT FAHREN
AUF SICHT FAHREN
Katharina Hohmann
Rauminstallation
mit Soundinstallation von Olga Hohmann und Lukas Kesler
02.10.–30.10.2022
Ausstellung | täglich 10–18 Uhr
Eröffnung | 01.10. | 11 Uhr
Katharina Hohmann erarbeitet ihre Installationen mittels breit angelegter Recherchen. Ganz wichtig ist dabei der Bezug zum Ort selbst, in diesem Fall die St. Georgen Kirche in Wismar Vorhandene Elemente werden vor Ort aufgegriffen, untersucht, künstlerisch bearbeitet und durch fremde erweitert und in ein Spannungsfeld gebracht. Vor allem aber wird der Raum selbst in Geschichte und Gegenwart, in dem man sich körperlich in Beziehung zu ihm setzt, reflektiert.
Ein zentrales Feld, eine Installation aus fliehenden Röhren, fragmentiert und verbunden zugleich, macht das Passieren des Kirchenschiffs durch seine zentrale Achse nicht mehr möglich. „Wir navigieren drum herum, wie wir vielleicht um ein, in einer Werft gefangenes Schiff, einen großen Bogen machen. Oder aber auch um ein Feld, ein archäologisches, denn wir wollen nichts verrücken. Oder aber auch um eine Zone, die wir nicht betreten möchten, oder dürfen, weil wir Menschen darin nicht erwünscht sind. Das Zentrum bleibt leer, wir sehen eine Art bestelltes Feld, ein dynamisches. Von zwei Punkten aus, haben wir eine Übersicht – dürfen wir das statische „Raumbild“ Ort von oben betrachten.“ *
Die weißen Röhren, teils mit hautfarbenen und grauen Engoben bemalt, evozieren auch alte Ossuarien, Beinkammern, die oft in den Gruften der Kirche zu finden waren. Als Kontinuum sind sie durch Schläuche, Kupfer- und Plastikrohre als fortlaufendes System – miteinander verbunden. Die Künstlerin versteht ihre Keramikskulpturen auch als Hommage an das Handwerk der Ziegelmacher und der Maurer: die Masse des Kirchenschiffs wurden als Ausgang genommen, eine in viele Teile fragmentierte, lange Messröhre aus Ton zu formen.
St. Georgen Kirche wird so zum Transitraum.
Zwischen den Rohrfragmenten postierte Spiegel erscheinen als Lichtkörper, sind hell leuchtende Pfützen, Perforationen im Raum und dienen als Vermittler zwischen oben und unten. Die transitorischen Spiegel werfen, je nach Lichteinfall, leuchtende projizierte Sonnenflecken an die Wände und Decken – mit dem Sonnenlicht wandernde Lichtpunkte.
„Menschen schreiben sich ein in den Raum, werden les- und zählbar – so anwesend wie abwesend – behütet und bedeckt von den schweren Steinplatten. Einst hatten diese Grabplatten den Kirchenboden fast völlig eingenommen und konnten als menschliche Masse gelesen werden und gaben dem, fast maßstablos-immens scheinenden Kirchenraum Anhaltspunkte. Zunächst Jahrhunderte im Inneren der Kirche positioniert, lagern sie heute unter einer Überdachung im Freien. Längst funktionslos geworden, verlieren sie ihre Erzählkraft: die Texte und Bilder sind stumm geworden, sie vermitteln sich nicht mehr.“*
Die Künstlerin stellt eine Serie von bedruckten Bettbezügen her, die mittels Fotodruck einzelne der wertvollen Grabplatten wieder in die Kirche zurückholen.
Eine umfangreiche Serie von Aquarellen auf Papier ergänzt die mehrteilige Bodeninstallation. In einem Metallregal, ähnlich einem Bilderlager, wird der für Wismar entwickelte Zyklus gezeigt. Die Bilder sind Unikate und ergeben als Ganzes eine Serie, die von der Wismarer Werft, dem Entstehen von Schiffen, dem Stapellauf, Schiffen auf See und schließlich dem Vergehen der Wismarer Schiffe auf den Abwrackwerften in Indien erzählt. Als Außenstehende fasziniert Katharina Hohmann diese Stadt am Meer, mit der ausladenden Werft und ihrer wechselvollen Geschichte. Schiffe haben oft eine kürzere Lebensdauer als wir Menschen. Nach einem funktionalem «Leben» auf See werden Schiffe aus verschiedenen Gründen, meist aber bedingt durch eine gewisse Rentabilität, oder veraltete Technik, im Prinzip nach relativ kurzer Lebensdauer wieder verschrottet, falls sie nicht vorher gesunken sind.
„Immer waren Menschenstimmen in der Kirche zu hören: Maurer, Zimmermänner, Steinmetze, die sich Worte und Werkzeuge zuwarfen und, wie ein großer Schwamm, haben die roten Mauern der Kirche die in unendlichen Liturgien gesungenen und gemurmelten Litaneien, die Gebete und die Gesänge, in sich aufgesogen, sie gespeichert als kollektive Erinnerung.“* Im Prinzip sind Veränderungen genau jene transitorischen Phänomene, welche über die Jahrhunderte, Religion, Kultur, Nutzung und Werte abbilden. Die in Berlin lebende Performancekünstlerin und Autorin Olga Hohmann und der Szenograph und Performer Lukas Kesler erarbeiten eine dialogische Soundcollage, die während der Ausstellung im Kirchenschiff zu hören sein wird.
St.-Georgen-Kirche
St. Georgen Kirchhof 1A
23966 Wismar
Tel.: 03841 2240025